Drogenpolitik in Berlin: Wie leben Drogenkonsumenten in der deutschen Hauptstadt?

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Berlin hat den Ruf, ein Ort zu sein, an dem sich verrückte Menschen, marginalisierte Künstler und subkulturelle Treffpunkte aus ganz Europa versammeln. Und die Drogenpolitik ist liberaler als in anderen Teilen Deutschlands.

Das BB-Team wirft einen Blick auf das Zusammenspiel von Behörden, Drogenkonsumenten, Aktivisten und Straßendealern in einer der größten Städte Europas.

Wenn man über die Drogenpolitik in anderen Ländern spricht, denkt man in erster Linie an Nachrichten über die Gesetzgebung und an Details von öffentlichkeitswirksamen Polizeieinsätzen, während das wirkliche Leben von Drogenkonsumenten und Händlern psychoaktiver Substanzen hinter den Kulissen bleibt.

Über die Haltung des Staates ihnen gegenüber ist nicht viel bekannt - über die tatsächliche Praxis der Strafverfolgung im Bereich der Drogenpolitik, die sich oft als viel liberaler erweist als die formalen Gesetze.

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In den USA beispielsweise gibt es formale Mechanismen, die zu einer liberalen Durchsetzung führen - so haben zwischen 2003 und 2012 15 Städte des Landes Gesetze erlassen, die die örtliche Polizei verpflichten, den Besitz von Marihuana als letztes Vergehen zu behandeln.

In Deutschland ist die Situation ähnlich: Trotz der formalen Kriminalisierung psychoaktiver Substanzen ist die Haltung der Polizei gegenüber Konsumenten und Händlern landesweit sehr unterschiedlich. Dr. med. Antonia Bendau, Spezialistin für Freizeitdrogenforschung an der Klinik für Psychiatrie und Neurowissenschaften der Charité in Berlin, sprach mit dem BB-Team über Substanzen auf den Straßen Berlins.


Wenn wir über Deutschland, wie auch über jedes andere europäische Land, sprechen, denken wir sofort an die Stereotypen, die sein Bild prägen. Auch das Thema Drogen in Deutschland hat sich bestimmte Stereotypen angeeignet.

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Der industrielle Aufschwung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts bescherte Deutschland die chemische Industrie und den Bayer-Konzern, und die Welt Heroin (dies war der Markenname eines Hustenmittels, das bis 1971 in hiesigen Apotheken verkauft wurde).

Historiker werden sich wahrscheinlich auch an Pervitin erinnern, das beim Sieg Deutschlands über Frankreich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs eine Rolle spielte. Die Niederlage Frankreichs wurde durch die Ardennenoffensive im Mai 1940 vorweggenommen.

Die Wehrmacht überwand einige Tage lang etwa 200 Kilometer gebirgiges, bewaldetes Gelände und schlug die französische Armee von hinten - der Hauptmotor dieser Offensive war Pervitin.

Solche Geschichten erinnern an die traditionelle deutsche Ordnung. Es scheint, als würden in Deutschland sogar bewusstseinsverändernde Substanzen industriell hergestellt und mit militärischer Disziplin verabreicht. So lautet der Mythos.

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Eines Tages hat eine Gemeinschaft in Berlin eine Kartierung der wichtigsten Orte vorgenommen, an denen Substanzen verkauft werden - es stellte sich heraus, dass sie mit U-Bahn-Linien verbunden sind. Einige Abzweigungen sind traditionell "Heroin". Dort treffen sich Dealer und Junkies, um ihr "Geschäft" zu machen und sich zu zerstreuen. Hier brechen auch einige Patienten in Substitutionsprogrammen die Regeln des Programms und verkaufen einen Teil ihrer Medikamente.

Der Ort, der an der Kreuzung mehrerer U-Bahn-Linien liegt (der Haupttreffpunkt für die meisten Menschen, die psychoaktive Substanzen konsumieren), hat sich in eine Art Drogenmarkt verwandelt.

Dort gibt es auch erste Hilfe: Eine mobile Nadel- und Spritzentauschstelle ist regelmäßig dort stationiert, und auch ein sicherer Konsumraum befindet sich in der Nähe.

In einem der großen Parks trifft man immer wieder auf Dealer. Der Platz unterscheidet sich von anderen dadurch, dass er von Afrikanern gehalten wird, obwohl Araber noch einen kleinen Bereich am Eingang weggenommen haben.

Kürzlich ereignete sich ein amüsanter Vorfall: Die Parkverwaltung, die feststellte, dass sie nichts gegen Dealer unternehmen kann, beschloss, ihnen bestimmte Bereiche zuzuweisen. Die Angestellten zeichneten Linien auf den Asphalt, um Inseln des Handels zu schaffen. Natürlich funktionierte die Idee nicht, und die Inseln wurden dann von Bloggern fröhlich fotografiert.

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Die Qualität der "Straßen"-Stoffe ist jedoch schlecht, und Konsumenten, die auf Schadensbegrenzung bedacht sind, meiden die öffentlichen Händler.
Was passiert eigentlich in der aktuellen Drogenpolitik in Deutschland?
Wie sieht die Gesellschaft die Substanzen und die Menschen, die sie konsumieren?

Die deutsche Hauptstadt hat die sozialistische Erfahrung der DDR mit dem Freiheitsgeist West-Berlins kombiniert, Migrantenwellen aus aller Welt aufgenommen und daraus einen besonderen Cocktail gemixt. Berlin ist die Drogenhauptstadt von Deutschland. Von den 139.000 Einwohnern - fast 4 % der Stadtbevölkerung - nehmen regelmäßig psychoaktive Substanzen.
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Wie reagieren die Behörden? In Berlin ist etwas mehr erlaubt als in anderen Bundesländern, und die örtliche Polizei ist viel toleranter gegenüber Menschen, die Drogen konsumieren, als ihre Kollegen.

Im Jahr 2017, während des G20-Gipfels in Hamburg, wurde Verstärkung in Form eines Polizeikommandos aus Berlin geschickt - und die Berliner Polizisten zeigten sich, indem sie eine Party mit Alkohol und Tanz auf den Tischen veranstalteten.Sie hatten so viel Spaß, dass sie zurückgeschickt werden mussten.

Die Bundesrepublik Deutschland ist in Bundesländer aufgeteilt, und jedes Bundesland hat seine eigene Einstellung zu psychoaktiven Substanzen. Die Bundesgesetze sind im ganzen Land verbindlich, werden aber von Region zu Region unterschiedlich ausgelegt.

So ist zum Beispiel die zulässige Menge an Marihuana von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich: in Berlin sind es in der Regel 15 Gramm, in anderen Bundesländern - 3-5 Gramm. Der Verkauf von illegalen Substanzen ist strafbar, wobei das Strafmaß stark davon abhängt, wie das Gericht die Umstände des Einzelfalls beurteilt.

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Persönliche Beobachtung.
"Ich erinnere mich an meine erste Hanfparade ("Hanfmarsch"). Die Teilnehmer versammelten sich schon ein paar Stunden vor dem Start auf dem Washingtonplatz. Zur gleichen Zeit traf die Polizei ein und begann, Zäune aufzustellen. Die Teilnehmer rauchten im Angesicht der Polizei. Ich wartete ab. Meine ganze Lebenserfahrung sagte mir, dass eine Festnahme bevorstand. Ich fragte mich, ob alle gefesselt werden würden oder nur ein paar Junkies. Aber die Polizisten schauten einfach weg und unterhielten sich mit ihren Kollegen über ihre eigenen Dinge.

Nicht in allen Bundesländern verhält sich die Polizei so.

Bayern zum Beispiel ist das Gegenstück zu Berlin. Wie die letzte Bastion der deutschen Ordnung steht es für konservative Positionen. Dort kann man schon für das Rauchen von Marihuana auf der Straße ein paar Monate ins Gefängnis kommen, von schwereren Substanzen ganz zu schweigen.

Die Polizei verhaftet Straßendealer gelegentlich, aber meistens aufgrund von Beschwerden von Anwohnern. Zu anderen Zeiten ist es für die Polizisten bequemer, die Drogenszene zu überwachen, ohne dass es zu massiven Belästigungen kommt.

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Die Polizei hat es auf die Hauptakteure des illegalen Geschäfts abgesehen und nimmt sie fest. Kürzlich wurde Ibrahim Miri, das Oberhaupt der Miri-Familie, eines großen libanesischen Clans von Arabern und Kurden, der seit langem in Deutschland ansässig ist und unter anderem in den Handel mit psychoaktiven Substanzen verwickelt ist, abgeschoben.

Ein weiterer Erfolg war die Abschaltung eines Servers, der viele Darknet-Shops in Deutschland und Europa bediente. Er befand sich in einem Bunker aus der Zeit des Kalten Krieges und war gut vor Eingriffen von außen geschützt. Die Festnahme der Besitzer des Servers war für die Polizei weitaus nützlicher als eine Razzia bei gewöhnlichen Dealern.

Deutschland bewegt sich, wie der Rest Westeuropas, in Richtung Entkriminalisierung psychoaktiver Substanzen. Politiker der Partei Die Linke nehmen an der Hanfparade teil, und Bundestagsabgeordnete treffen sich mit Vertretern von Drogenkonsumentengemeinschaften.

Die erste dieser Vereinigungen, die JES-Gemeinschaft, ist kürzlich 30 Jahre alt geworden.

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Die politischen Entscheidungsträger haben erkannt, dass eine Öffnung und Regulierung des Marktes für psychoaktive Substanzen allen Beteiligten zugute kommt. Der Staat erhält Steuern, die Gesellschaft erhält klare Regeln und die Möglichkeit, den Prozess zu beeinflussen, und die Verbraucher erhalten Qualität und Sicherheit.
 
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